"Kurzgeschichten"



Ohne Worte!


"Worte! Alte, neue, große und kleine Worte!" schreit der Wort-Budenbesitzer auf dem Jahrmarkt.
"Sehr preisgünstig abzugeben!" kreischt er - schon etwas heiser - hinterher. Bei diesen Worten horche ich auf.
"Abzugeben", denke ich verächtlich. "Wie unehrlich die Menschen mit ihren Worten umgehen, und wie gern sie noch dazu die falschen Worte verwenden! Verkaufen hat er ja wohl gemeint!" Neugierig geworden trete ich näher, um sein so angepriesenes Sammelsurium zu betrachten. Schon führe ich einen Dialog mit mir:
"Du bist kaufsüchtig! Brauchst du überhaupt noch Worte? Reicht dir deine Sammlung etwa nicht mehr?"
Ärgerlich denke ich: "Man kann nicht genug Worte besitzen; das hat doch nichts mit überflüssigem Konsum zu tun! Wenn alle so geizig sind, sich mehr Worte zuzulegen, dann steht es um unsere Verständigung immer schlechter. Die meisten haben sich ja ohnehin nichts mehr zu sagen.
"Außerdem", so grübele ich weiter gegen meine innere Stimme, "wie oft schon habe ich meine Worte verschenkt, und es kam nichts zurück. Selten genug findet ein Austausch statt. Und was mir auch immer wieder passiert: die Leute dreh'n mir das Wort im Munde 'rum, so daß es meinen Sinn verliert und ich verzweifelt nach meinen Worten such' ".
Während ich so 'rumwortschle und meinen Blick schweifen lasse, stelle ich erstaunt fest, daß es keinen zweiten Wort-Budenbesitzer auf diesem Jahrmarkt der Künste gibt. Der Typ hat doch glatt das Wortmonopol hier, sozusagen das letzte Wort - um jeden Preis. Wo bleibt da die vielgepriesene freie Wortwirtschaft?
Kopfschüttelnd nehme ich seinen Stand näher unter die Lupe. Inzwischen haben sich noch weitere Wortsuchende um die Bude versammelt, und plötzlich geht eine regelrechte Wortklauberei los. Ich höre, wie ein Wort das andere gibt. Man kann sein eigenes Wort nicht mehr verstehen!
"Wo kann ich meine Worte patentieren lassen, damit sie nicht mehr gegen mich verwendet werden?" versuche ich lautstark das Geblacke zu übertönen. Der Wortverkäufer gibt keine Antwort. Offenbar fehlen ihm jetzt die Worte, die er eben noch so großspurig anpries. Da höre ich neben mir eine fröhliche Stimme: "Liebling, zu Weihnachten schenk' ich dir einen Sack voll der Worte, die du so oft verlierst!"
Überglücklich strahlt sie ihn an: "Ich nehme dich beim Wort!"
"Donnerwetter", denke ich, "mann schenkt noch Worte! Nun ja, schließlich ist Weihnachten das Fest der Liebe".
"Aber hat Liebe noch Worte nötig?" sinniere ich vor mich hin, "es wird ja viel geblacket ..." Meine Gedanken werden jäh unterbrochen.
"Haben sie auch politische Worte zu verkaufen?" drängt sich ein krawattenbehängter, kraftloser Yuppie zum Wort-Besitzer durch.
"Nee, die sind letzte Woche alle mit dem Sondermüll entsorgt worden!"
"Aber wieso das?" fragt der dynamisch-Depressive enttäuscht.
"Na, Worte, denen nicht entsprechende Taten folgen, sind leeres Ge-blacke. Und sowas verkaufe ich nicht!" In seiner Ehre gekränkt, wendet sich der Wort-Standbesitzer ab.
"Schöne Worte abzugeben, beste Qualität! Ich steh' zu meinem Wort!" Wie drohend versucht er weiter, seine Ware loszuwerden. Seine Bemühungen werden endlich belohnt: Worte werden gekauft, sorgfältig ausgewählt, auf die Waagschale gelegt und einige sogar heruntergehandelt. Die Menge befindet sich jetzt im Kaufrausch. Ganze Sätze geh'n über den Ladentisch!
Ich bin sprachlos: Worte werden heute gewechselt wie früher die Wäsche bei den Saubermanns - zu oft und glatt gebügelt.
"Mir geh'n langsam die Worte aus!" spornt der Wort-Händler die Leute an und kramt in seinen säu-berlich unterteilten Schubfächern. Begeistert schreit er in die wortgeile Meute: "Wer will das letzte Wort haben?"
"Ich!!!" sehe ich da einen Napoleon-Gnom aufgeregt mit fuchtelnden Ärmchen nach vorne preschen.
Hämisch grinst der Wortverkäufer:
"Hier hast du's: verpiß dich!"




Gruppenbild mit Dame
Dieser Kurz-Krimi besteht aus 78 Filmtiteln !!!

Es geschah am hellichten Tag, 1984, als der Club der toten Dichter - sie nannten sich die glorreichen Sieben - am Fenster zum Hof in Casablanca die Feuerzangenbowle entzündete; manche mögen's heiß!
Das große Fressen hatte bereits stattgefunden, denn Adel verpflichtet. Es war das ver-flixte siebte Jahr, in dem sie sich endlich wieder trafen, nachdem sie in 80 Tagen um die Welt gereist waren. Mit Schirm, Charme und Melone und mit viel Lärm um Nichts feierten sie dieses denkwürdige Ereignis. Sie kamen nicht mehr voneinander los: das fliegende Klassenzimmer, das sie in 1001 Nacht damals als junge Pennäler im Wirtshaus im Spessart uraufführten - der Clou in den Dreißigern -, hatte ihre Freundschaft endgültig besiegelt, und sie waren dazu verdammt in alle Ewigkeit.
Dr. Schiwago erzählte seine unendliche Geschichte, Goldfinger träumte vom Frühstück bei Tiffany, und der dritte Mann spielte das Piano dazu - der letzte Tango -, auf dem der Wachsblumenstrauß virtuos mitschwang. Man nannte sie das Trio infernale.
Nach einer Weile erhob sich kein Geringerer als der Herr der Gezeiten - der Seewolf -, der sich auch stolz 'der Herr der sieben Meere' nannte, nahm die Blechtrommel und befahl: "Spiel mir das Lied vom Tod!"
Augenblicklich verstummten alle. Der Terminator schaute ihn verwundert an, der Pate traute seinen Ohren nicht und faselte etwas wie: hier ist doch nicht der Brennpunkt Brooklyn! Und der Hexer, der eiskalte Engel, murmelte zynisch in das Schweigen der Lämmer: "Wem die Stunde schlägt!!"
"Er ist der Spion, der aus der Kälte kam, der unsichtbare Dritte!" schrie jemand entsetzt, und sein Gesicht wechselte die Farbe Lila. Wie vom Winde verweht war plötzlich die unheimliche Ruhe. Draußen brauste der Orientexpress vorbei, die Katze auf dem heißen Blechdach fauchte, und die Vögel kreischten aufgeregt "Denn sie wissen nicht, was sie tun!" "Seid ihr denn alle jenseits von Eden?" brüllte da irgendwer, als aus heiterem Himmel ein Revolver aufblitzte und ein Körper schwer stöhnend zu Boden sank. Eine verhängnisvolle Affäre!
So mancher erinnerte sich nun an den Besuch der alten Dame mit dem Hund von Baskerville, jenseits von Afrika. Ihre Worte "Tote tragen keine Karos" und "Endstation Sehnsucht" waren plötzlich allen präsent.
Der Verdacht hatte sich just bestätigt: der Richter und sein Henker!
"Is' was Doc?"
"Tote schlafen fest ..." war die lakonische Antwort.
"Für eine Handvoll Dollar!!??"
Es wurde wieder totenstill. Von irgendwo her tönte ein Radio, und der Nachrichtensprecher vermeldete aufgeregt:
"In Rio Grande ist der Krieg der Sterne ausgebrochen, der auch das Leben des Brian auslöschte, und Giganten haben die Hexen von Eastwick entführt.
Der Herr der Ringe kämpft Seite an Seite mit Alexis Sorbas, Graf Dracula und Ben Hur. Die Ritter der Kokosnuß und die drei Musketiere konnten noch im letzten Moment die Brüder Karamasow und Don Camillo und Peppone retten!
Soweit die Füße tragen, schleppt sich der brave Soldat Schweijk mit letzter Kraft in das Boot, um ans rettende Ufer zu gelangen.
Ansonsten: Im Westen nichts Neues!"




Zukunftsmusik

Neulich traf ich einen befreundeten Astrologen. Ich erzählte ihm, daß mein Mann depressive Phasen durchmacht, da er arbeitslos ist. Um dieses Problem zu lindern, empfahl er Meditation.
Nun, sagte ich, ist ja gut und schön, aber die Arbeitslosigkeit läßt sich dadurch kaum beheben, da müßte doch wohl ein Job her. Dann hörten auch die Depressionen auf. Wir sprachen noch eine Weile darüber, aber er war weiterhin davon überzeugt, daß Meditieren hilft. Lange nach diesem Gespräch, das mich doch sehr nachdenklich stimmte, hatte ich einen besseren Einfall, sozusagen eine geniale Idee.
Heutzutage gibt es ja nun zahllose Möglichkeiten in der Therapielandschaft, mit seinen Depressionen, Nöten und Ängsten, wodurch auch immer sie hervorgerufen werden, leben zu lernen bzw. sie gar zu verarbeiten, um wieder ohne sie leben zu können.
Die beste Methode allerdings ist Rebirthing - man wird einfach wiedergeboren! Das bedeutet ja, man ist ein Neu-Geborener. Du fängst bei NULL an, bist 'ne Null und hast null Probleme ...
Nun stelle ich mir das so vor: das Heer der Millionen Arbeitslosen sollte eine Rebirthing-Therapie machen - die Arbeitsämter übernehmen sogar die Kosten hierfür!
Als neugeborener Mensch kommt man ja naturgemäß arbeitslos auf diese Welt. Man weiß also nicht, was einem fehlt, und vermißt somit auch nicht die Arbeit. Und so würde es dann auch den Arbeits-losen gehen: sie wären geheilt von ihren Depressionen und Existenzängsten, denn nun fehlt ihnen ja nichts mehr - was man nicht kennt, kann man nicht vermissen.
Das Ganze hätte noch den zusätzlichen Effekt der Arbeitsbeschaffung - für die TherapeutInnen; die meisten KlientInnen können sich inzwischen aufgrund der damaligen Seehoferschen Sparmaßnah-men keine Therapien mehr leisten.
Was mich immer gewundert hat, ist die Tatsache, daß all' diese arbeitslosen Menschen nicht auf die Straße gehen und den PolitikerInnen Druck machen - eine zu gründende Arbeitslosenpartei mit Milli-onen Mitgliedern (!) wäre da sicherlich sehr hilfreich und hätte aussichtsreiche Chancen, sich durch-zusetzen.
Nun aber weiß ich um dieses Rätsels Lösung:
sie alle haben die Rebirthing-Therapie bereits gemacht ... !





Jenseits der Stille
Dieser Kurzkrimi besteht aus 83 Filmtiteln!!

Über den Dächern von Nizza begann der Tag danach ... Dornenvögel sangen das Wiegenlied für eine Leiche ...
Die Dinge des Lebens hatten sich für den Teufel in Seide, der seit der Meuterei am Schlangenfluß und der Meuterei auf der Bounty die Freibeuterin genannt wurde, jäh gewendet. Wer Gewalt sät ...
Die Spaziergängerin von Sans-Souci, die dafür berüchtigt war, ihre Namen beliebig auszutauschen, bestieg den Zug 1650h ab Paddington. 12 Uhr Mittags am darauffolgenden Tag erreichte sie die Herberge zur 6. Glückseligkeit, in deren Empfangshalle stets schmutziger Lorbeer zu stehen pflegte und Aladins Wunderlampe schummriges Licht verbreitete. Ihr hochmütiges Gesicht sondierte schnell und gekonnt die Umgebung, so, als wolle sie fragen "Wie angele ich mir einen Millionär? "
Die Ferien des Monsieur Hulot in diesem Etablissement hatten gerade erst begonnen. Er war der Drehbuchautor, der durch Filme wie 'Tatis Schützenfest', 'Die Caine war ihr Schicksal' und 'Tod auf dem Nil' weltweit zu Ruhm gekommen war.
Rosemaries Baby, dessen Vater er war, ließ er mit seiner African Queen, so nannte er zärtlich seine Lebensgefährtin, schlaflos in Seattle zurück. Eine French Connection ermöglichte ihm den Aufenthalt in diesem verschlafenen Nest, das die drei von der Tankstelle naturbelassen für solvente Feriengäste gepachtet hatten. Das Dschungelbuch mußte sie inspiriert haben, und Robinson Crusoe hätte seine wahre Freude daran gehabt ...
Der Autor brauchte dringend Urlaub von seinem kleinen Schreihals mit dem Spitznamen Cat Ballou, um hier im Jurassic Park ungestört an seinem neuen Drehbuch 'Der Pferdeflüsterer' weiterarbeiten zu können. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, für mindestens sieben Filme zu schreiben, denn das Brot der frühen Jahre reichte nicht mehr für seine kleine Familie.
Herrliche Zeiten erhoffte er sich nun in seinem Feriendomizil. Aber mit der Ruhe sollte es schon bald vorbei sein, denn er lernte die zwei Gesichter einer Frau kennen.
Der blaue Engel - ihr Repertoire an Namen war geradezu unerschöpflich - führte sich in Onkel Toms Hütte, wie sie den Gasthof verächtlich nannte, nach dem Motto 'man lebt nur einmal' wie das wilde Schaf auf. "Das Gesetz bin ich", pflegte sie stets brüsk zu sagen, wenn sich wieder einmal jemand über sie beschwerte. Und ihr zischelnder Nachsatz "Hunde wollt ihr ewig leben?" ließ alle auf der Stelle erstarren.
Es war Nachsaison, und außer ihr und dem Autor waren lediglich noch zwei Feriengäste anwesend - Madame Bovary und der Kaufmann von Venedig. Niemand hatte eine Ahnung, wer diese mysteriöse Frau, die den Tanz der Vampire so perfekt beherrschte, wirklich war und woher sie kam. Alle spürten eine gewisse, unheimliche Spannung, die über dem Ort lag, und jeder von ihnen machte sich so seine Gedanken. "Moderne Zeiten", hörte man jemanden murmeln, als sie einmal wie Lawrence von Arabien ver-kleidet das indische Grabmal betrat, wie sie den Frühstücksraum bezeichnete. Der Graf von Monte Christo, der adlige Herbergsvater, dachte schaudernd bei sich: "Denen man nicht vergibt" ... Er hatte bisher immer Blondinen bevorzugt, aber diese hier, die barfuß im Park herumirrte und jedermann fragte "Lieben sie Brahms?" war nicht nach seinem Geschmack! Eines weniger schönen Tages erschien My fair Lady nicht wie üblich zum Dinner. Während sich die anderen angeregt über die Ansichten eines Clowns unterhielten, dem das Haus in Montevideo gehörte und der sich als der Stadtneurotiker einen Namen gemacht hatte, fuhr der Taxi Driver vor. Emil und die Detektive stürmten ins Haus. Ihnen folgte dicht auf dem Fuß Dirty Harry, der Schakal genannt. Seit er den Fall 'Cleopatra', die die Blues Brothers ermordete, so brillant gelöst hatte, waren das Mädchen und der Kommissar Stadtgespräch. Im Nu verstummte die Unterhaltung, und ein ohrenbetäubender Knall durchriß die Stille. Blut-überströmt und röchelnd wankte unter entsetzten Augen ein Mann in den Speisesaal - nur Pferden gibt man den Gnadenschuß ...
"Eine Leiche zum Dessert" ... durchfuhr es den Gastwirt, und ein Aufschrei ging durch den Raum: Bei Anruf Mord!! Schlagartig erinnerten sie sich an die rätselhafte Mordserie, die bis dato von der Soko 'Stirb langsam' nicht aufgeklärt werden konnte.
Allen wurde klar: der sterbende Mann ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde -der personifizierte Frankenstein-, eben diese unheimliche Frau, die sich hier in der Pension als 'Alice im Wunderland' in Schindlers Liste eingetragen hatte!
Als ihm damals die spektakuläre Flucht von Alcatraz gelang - die zwölf Geschworenen hatten ihn des Mordes an Harold und Maude überführt, nachdem ihn die Zeugin der Anklage schwer belastet hatte -, leistete er sich einen ebenso aufsehenerregenden Coup: er gab seinem gerade entlassenen Mithäft-ling Quax, der Bruchpilot, Rosen für den Staatsanwalt mit, die dieser ihm mit den Worten "Leichen pflastern seinen Weg" überreichte.
'Anatomie eines Mordes' war auf dem Abspann zu lesen, und sichtlich beeindruckt verließen zwei glorreiche Halunken das Kino.